Die Nebelungen

2022

Nibelungen oder Nebelungen?

Nibelung und Schilbung, die Zwergenkönige, stehen mit ihrem Lehrmeister Alberich am Abgrund, zuweilen im Abgrund, manchmal vordergründig abgründig, auch wieder abgrundtief böse, dennoch hintergründig auf dem Untergrund. Eine schwerwiegende Weissagung ereilt das Zwergenvolk – zu Menschen sollen sie werden.

Von alle dem erfahren die zwei Königssöhne erst im Laufe ihrer Erziehung. Bei ihrer Geburt trat Pfütze aus dem Nebel hinzu und sagte die Zukunft voraus – eine düstere Zukunft in einem grauen Felsverlies, in dem das Gold den Steinen abgetrotzt wird und trotzdem nichts erhalten bleibt. Zurückgeblieben sind nun wirklich nur Nibelung, Schilbung und Alberich – und die tote Schwester, die, totgeboren, in einem Gefäß, mit Met befüllt, eingelegt worden war. Doch was den taktlosen und haltlosen Königen verborgen bleibt ist das rote Fleisch, das sich über den Felsen bildet und Alberich in Alarmbereitschaft versetzt. Alle Warnungen werden in den Wind geschossen – plötzlich jedoch entwickelt die Höhle ein Eigenleben.

Ein Bruch mit Folgen

Wenn Gestein wackelt und wankt, zittern die Knilche. Es ist Vorsicht geboten: Kräfte scheinen am Werk, mit denen das Individuum nicht mehr fertig wird. Doch bevor wir an die Oberfläche treten, an der die Nibelungenuntergehen, graben wir uns tief in die Erde vor, wo die Zwerge, die Nebelungen, auf uns warten. Zunächst müssen sie dem Untergang widerstehen. Doch davor macht etwas den Abgang und stürzt hinab, und hinab, und hinab. Es ist Siegfried, der Held, ein Mensch, dessen unglückliche und unsaubere Landung die Zwerge erstmal einordnen müssen. Was ist das nun, ein Mensch? Der Andere? Der Nicht-Zwerg? Was kann man mit ihm anfangen? Zunächst befragt ihn Schilbung, dann befragt Nibelung seine Schwester, was er tun soll, und zu allem Übel plant auch Alberich seine Zukunft voraus. Und Siegfried – mit all seinen gebrochenen Gliedern – wird zwischen den Parteien hin- und hergeschoben. Weiß er, was mit ihm geschieht?

Letztlich befragen sie sich gegenseitig und es kommt zu einer schicksalshaften Begegnung zwischen Nibelung und Siegfried, die alles aus dem Gleichgewicht bringt, das, sowieso nur noch auf tönernen Stelzen stehend, mächtig im Wanken begriffen war. Und so wanken die Zwerge und der Mensch, dem es mit gebrochenen Gliedern natürlich schwerfällt, einem Ausgang entgegen. Doch wo führt dieser hin? Brechen sie aus dem ewigen Kreislauf aus oder bleiben sie unter Tage gefangen? Denn gebrochen wird viel im Nibelungenlied: Schwüre, Versprechen, Treue, und Nacken.

Sollten jene Geister vielleicht im Widerstreit von Hörigkeit und Rebellion, Freiheit und Vernunft, das letzte Wort behalten?

Wie es zu den Nebelungen kam

Oft ist schon das Nibelungenlied erzählt worden, Geschichten von Liebe, Hass und Rache, die alle-samt in einer Katastrophe münden. Doch welche Geschichte liegt vor der Sage, wenn in grauer Vorzeit die Burgunder noch Burgunder sind und die Nibelungen die Nibelungen. Ein mystisches Zwergenvolk, dem die Könige Nibelung und Schilbung vorstehen, liegt tief verborgen im Nebel und das, was aus ihnen geworden ist, nachdem Siegfried in ihr Bergwerk gefallen ist.Gleichsam in einem Nebensatz, sozusagen als Vorspiel zu den burgundischen Nibelungen, erzählt Hagen am Hofe in Worms von den Ereignissen, die vor der Ankunft Siegfrieds spielen. Denn irgendwie und irgendwoher müssen die schicksalshaften Requisiten stammen, die die Burgunder in ihr nibelungisches Verderben stürzen, wenn das Schwert Balmung, die zu vielem nützliche Tarnkappe und der zu unsäglichem Streit und Gier gebräuliche Goldschatz, Nibelungenhort genannt, die Bühne der Legende betreten und die Geschicke verändern.

Im Jahr 2021 haben Phyllis Koehler und Andreas Hartmann mit dem Stück „Die NEBELUNGEN“ bei dem Autor*innenwettbewerb der Nibelungen-Festspiele Worms den Publikumspreis gewonnen. Dieses Jahr inszenieren sie das Stück mit Ensemblemitgliedern des Theater Curiosums im Lincoln-Theater in Worms in einer Uraufführung. Welche eingetretenen Pfade werden sie die Zwergen gehen lassen, der Wege wegen? Und wo wird die Geschichte enden? Tief im Erdinneren –im Kern –im Erdkern –beim Tiefpunkt? Oder im Tageslicht, dem garstigen, das in den Augen sticht?